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Kulturelles Erbe der Deutschen aus dem östlichen Europa
Historischer Hintergrund
Im Zuge der mittelalterlichen Ostsiedlung entstanden geschlossene deutsche Siedlungsgebiete. Über Jahrhunderte hinweg entwickelte sich eine reiche, von Deutschen geprägte Kultur. Die historischen deutschen Territorien von Brandenburg, Schlesien, Pommern und Preußen östlich von Oder und Neiße umfassten 1937 ca. 25 Prozent der Fläche und mit knapp 10 Mio. Menschen ca. 15 Prozent der Bevölkerung Deutschlands. Insgesamt lebten in den östlichen und südöstlichen Siedlungsgebieten 1938 über 18 Mio. Deutsche.
Ihr Heimatverlust begann mit der Deportation der Russlanddeutschen 1941. Er setzte sich im Winter 1943 mit dem Abzug der Schwarzmeerdeutschen und im Sommer 1944 mit der Evakuierung der Deutschen aus dem östlichen Europa vor der Roten Armee fort. 1945 folgten die Flucht aus den Ostprovinzen des Deutschen Reichs, die wilden Vertreibungen und seit 1946 die sogenannte „organisierte Vertreibung“. Am 25.01.1946 kamen beim ersten Vertriebenentransport aus dem Sudetenland rund 1.200 Sudetendeutsche in Bayern an. Sie fanden im Durchgangslager in Furth im Wald erste Aufnahme.
Nach Abschluss der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen wurden im Jahr 1950 in der Bundesrepublik Deutschland, in der DDR, in Österreich, in den westeuropäischen Ländern und in Übersee insgesamt ca. 12.750.000 Vertriebene gezählt. Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden hat die deutschen Vertreibungsverluste mit ca. 2.230.000 Todesopfern errechnet. Das ergibt eine Gesamtzahl von ca. 15 Millionen Deutschen, die das Vertreibungsschicksal erlitten haben. Nach Bayern kamen bis 1950 ca. 2,1 Millionen Heimatvertriebene und Flüchtlinge, die größte Gruppe davon waren die Sudetendeutschen.
Vertreibung, Zerstörung und Verfall während der kommunistischen Zeit haben jahrhundertealte kulturelle Entwicklungslinien abgebrochen. Die europäische Bedeutung der ostdeutschen Kulturlandschaften als Mittler eines fruchtbaren Kulturaustauschs im jahrhundertelangen Zusammen- und Nebeneinanderleben mit den östlichen Nachbarvölkern wurde verdrängt und geriet in Vergessenheit.
Am 05.08.1950 wurde die Charta der deutschen Heimatvertriebenen unterzeichnet und am 06.08.1950 in Stuttgart-Bad Cannstatt verkündet. Sie ist ein Dokument für ein friedliches Miteinander auf der Basis von Recht und Gerechtigkeit und ein bleibendes Vermächtnis für die Zukunft des geeinten Europas. Es verdient Respekt und Anerkennung, dass die Heimatvertriebenen, die selbst erst ein paar Jahre vorher das schreckliche Unrecht von Vertreibung und den Verlust der Heimat erlebt hatten, schon 1950 ein solches Zeichen der Bereitschaft zur Versöhnung gesetzt haben.
Seit der Wende 1989 waren es vor allem auch deutsche Heimatvertriebene, die die Chance ergriffen, wieder Kontakte in ihre Heimat zu knüpfen, zerstörte und verfallene Kulturzeugnisse zu renovieren und wieder zu errichten sowie Brücken zu den Menschen zu bauen, die jetzt in ihrer Heimat leben. Mit großem Engagement haben sich die Heimatvertriebenen, Flüchtlinge und Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler eingesetzt, den Dialog und das Miteinander im Sinne eines gemeinsamen Europas auf der Basis von Frieden und Freiheit, von Wahrheit, Recht und Gerechtigkeit voranzubringen.
Inzwischen wachsen auch bei unseren östlichen Nachbarn zunehmend Bereitschaft und Bewusstsein für eine vorurteilsfreie Aufarbeitung der Vergangenheit.
Bayern hat 1954 die Schirmherrschaft über die Sudetendeutsche Volksgruppe und 1978 die Patenschaft über die Landsmannschaft der Ostpreußen übernommen.
Bayerisch-tschechischer Dialog
Bayern fühlt sich aber den Anliegen aller deutscher Heimatvertriebenen, Flüchtlinge und Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler verpflichtet und unterstützt sie im Sinne des § 96 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) bei Bewahrung, Pflege und Weiterentwicklung ihrer Kultur.
Im Hinblick auf die Sudetendeutschen hat der Bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer durch seine Reisen in die Tschechische Republik im Dezember 2010 und 2012 ein neues Kapitel der guten Nachbarschaft und des Dialogs aufgeschlagen. Der Gegenbesuch des früheren tschechischen Premierministers Petr Nečas in Bayern (Februar 2013) hat die nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen Bayern und Tschechien weiter vertieft.
Frau Staatsministerin Christine Haderthauer besuchte am 04./05.04.2011 Marienbad und Prag sowie am 24.11.2011 zusammen mit Herrn Ministerpräsidenten Horst Seehofer und einer großen Delegation von Sudetendeutschen Lidice, Theresienstadt und Aussig.
In Begleitung Heimatvertriebener hat Herr Staatssekretär Markus Sackmann am 28./29.03.2012 Schlesien besucht und der deutschen Minderheit Unterstützung bei der Pflege der deutschen Muttersprache und eine Vertiefung des Erfahrungsaustauschs mit Kommunalpolitikern aus der Woiwodschaft Oppeln zugesagt (26 Gemeinden mit deutschen Bürgermeistern in der Woiwodschaft Oppeln).
Frau Staatsministerin Emilia Müller reiste am 02./03.09.2014, begleitet von Bernd Posselt, dem Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe und ehemaligen Europaabgeordneten nach Pilsen und Prag.
In Pilsen nahm sie an einer Tagung der IHK Regensburg unter der Leitung des IHK-Präsidenten Gerhard Witzany teil und sprach mit einzelnen Unternehmern, die sich in der Grenzregion engagieren.
In Prag führte sie Gespräche mit Herrn Vize-Premierminister Pavel Bĕlobrádek, der tschechischen Sozialministerin Michaela Marksová, dem Vizeminister für Arbeitsförderung und Beschäftigung Jan Marek, dem Vizeminister für Fremdenverkehr und Tourismus Jiří Houdek sowie dem Fraktionsvorsitzenden der KDU-ČSL Jiří Mihola und dem Vorsitzenden des Ausschusses für europäische Angelegenheiten im Abgeordnetenhaus des tschechischen Parlaments Ondřej Benešik.
Am 04.12.2014 eröffnete der Bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer in Prag eine eigene Bayerische Repräsentanz. An der Eröffnung nahmen der tschechische Premierminister Bohuslav Sobotka und weitere hochrangige Gäste aus Politik und Verwaltung beider Länder teil, darunter auch der Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe, Bernd Posselt. Frau Staatsministerin Müller, die an den Feierlichkeiten in Prag teilnahm, bezeichnete diesen Tag als einen Meilenstein in der Vertiefung des guten Dialogs zwischen Bayern und Tschechien.
„Ich freue mich über dieses Schaufenster Bayerns mitten in Prag. Information über Bayern in Tschechien – das ist eine hervorragende Sache, das stärkt unsere ostbayerische Wirtschaft und das stärkt das Miteinander der Menschen in beiden Ländern.“ Die Repräsentanz soll ein Ort des gegenseitigen Austauschs für bayerische und tschechische Bürgerinnen und Bürger sein, es sollen dort Kooperationen angebahnt und fachliche Kontakte auf allen Themenfeldern unterstützt werden.
Im Juli 2015 legte der tschechische Vizepremierminister Pavel Bělobrádek im Sudetendeutschen Haus in München ein Blumengebinde für die Opfer der Vertreibung nieder.
Sozialstaatssekretär Johannes Hintersberger besuchte am 04.11.2015 in Begleitung des Sprechers der Sudetendeutschen Volksgruppe, Bernd Posselt, in Prag das Sudetendeutsche Büro und die Bayerische Repräsentanz, die sich eng abstimmen und gut zusammenarbeiten; er führte in Prag auch Gespräche mit der tschechischen Sozialministerin Michaela Marksová zu familienpolitischen Themen.
Am 27.04.2016 besuchte Sozialstaatssekretär Johannes Hintersberger mit dem Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe, Bernd Posselt, die Orte Reichenberg, Gablonz und Eger.
Premierminister Bohuslav Sobotka kam am 10.03.2016 nach München und traf sich mit dem Bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer und der Präsidentin des Bayerischen Landtags, Barbara Stamm. Am 19.10.2016 eröffneten Premierminister Bohuslav Sobotka und Ministerpräsident Horst Seehofer in Nürnberg gemeinsam die Bayerisch-Tschechische Landesausstellung 2016/2017 zu Kaiser Karl IV.
Förderung und Unterstützung der Heimatvertriebenen
Die Aufgaben nach § 96 Bundesvertriebenengesetz (BVFG)
In Deutschland verpflichtet § 96 BVFG Bund und Länder „entsprechend ihrer durch das Grundgesetz gegebenen Zuständigkeit das Kulturgut der Vertreibungsgebiete in dem Bewusstsein der Vertriebenen und Flüchtlinge, des gesamten deutschen Volkes und des Auslandes zu erhalten, Archive, Museen und Bibliotheken zu sichern, zu ergänzen und auszuwerten, sowie Einrichtungen des Kunstschaffens und der Ausbildung sicherzustellen und zu fördern. Sie haben Wissenschaft und Forschung bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus der Vertreibung und der Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge ergeben, sowie die Weiterentwicklung der Kulturleistungen der Vertriebenen und Flüchtlinge zu fördern.“
Der Freistaat als verlässlicher Partner
Bayern hat sich den Aufgaben nach § 96 BVFG immer mit besonderer Verlässlichkeit angenommen. Der Freistaat unterstützt in vielfacher Weise Einrichtungen, Projekte und Anliegen aller Heimatvertriebenen und setzt sich für ihre Interessen ein. Bayerische Vertriebenen- und Aussiedlerpolitik bezieht sich dabei nicht nur auf das Inland, sondern hat auch die Haltung des Auslands gegenüber den deutschen Heimatvertriebenen sowie den in der Heimat verbliebenen Deutschen im Blick. Es geht um Kulturarbeit, um Fragen der Menschen- und Minderheitenrechte, um Pflege und Erhalt des Bewusstseins für Leistungen und Schicksal der Deutschen aus dem östlichen Europa und vor allem um die vorurteilsfreie Aufarbeitung dessen, was bei Flucht und Vertreibung geschah.
Haus des Deutschen Ostens in München
Der Freistaat hat mit dem Haus des Deutschen Ostens in München (errichtet 1970) eine zentrale, dem Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration (StMAS) nachgeordnete staatliche Stelle geschaffen, die ein Kulturzentrum für Pflege und Bewahrung der Kultur aller deutscher Heimatvertriebenen, Aussiedlerinnen und Aussiedler sowie Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler im Sinne von § 96 BVFG ist.
Das Haus des Deutschen Ostens hat sich zu einer unverzichtbaren Kultur-, Bildungs- und Begegnungsstätte entwickelt, ist Ansprechpartner für alle Landsmannschaften und leistet vielfältige fachliche Beratung und Betreuung. Es trägt dazu bei, Schicksal, Kultur und Leistungen der Heimatvertriebenen, Aussiedlerinnen und Aussiedler sowie Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler lebendig im Bewusstsein der Bevölkerung im In- und im Ausland zu halten.
Bei der Eröffnung des Hauses am 24.09.1970 hat es der damalige Bayerische Ministerpräsident Dr. Alfons Goppel als „Geschenk des Bayerischen Staates an die vertriebenen Mitbürger“ bezeichnet. 2010 hat das HDO mit einem zentralen Festakt im Bayerischen Landtag (12.10.2010) und im Rahmen einer Festwoche (04. – 08.10.2010) sein 40-jähriges Jubiläum gefeiert. Frau Staatsministerin Haderthauer sagte anlässlich dieses Jubiläums:
„Das Haus des Deutschen Ostens ist als Treffpunkt vieler Gruppen der Heimatvertriebenen bestens etabliert… Dem Haus des Deutschen Ostens kommt eine wichtige Mittlerrolle zu, wenn es darum geht, Kultur und Geschichte der Heimatvertriebenen sowie ihrer Heimatregionen im Bewusstsein der gesamten Bevölkerung lebendig zu halten.“
Haus der Heimat in Nürnberg
Auf Beschluss des Bayerischen Landtags wurde das Haus der Heimat in Nürnberg errichtet und 1998 eröffnet. Diese Einrichtung ist heute ein überregionales Kultur- und Begegnungszentrum. Sie leistet auch wertvolle Integrationsarbeit insbesondere für Kinder, jugendliche Aussiedlerinnen und Aussiedler und jüdische Emigrantinnen und Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion.
Schirmherrschaft über die Sudetendeutsche Volksgruppe
1954 hat der Freistaat Bayern die Schirmherrschaft über die Sudetendeutsche Volksgruppe übernommen, der er als viertem Stamm Bayerns in besonderer Weise verbunden ist. Ausfluss dieser Schirmherrschaft ist die breite Unterstützung der heimatpolitischen, kulturellen und sozialen Anliegen der Sudetendeutschen und die maßgebliche Beteiligung am Bau des Sudetendeutschen Hauses in München, dessen Träger die Sudetendeutsche Stiftung ist.
Diese Stiftung ist eine rechtsfähige Stiftung des öffentlichen Rechts mit dem Zweck, das sudetendeutsche Kulturgut zu pflegen, es im Bewusstsein der gesamten deutschen Bevölkerung und des Auslands als bleibendes Zeugnis zu erhalten und die Aufgaben zu unterstützen, die der Bayerischen Staatsregierung aus der Schirmherrschaft über die Sudetendeutsche Volksgruppe erwachsen. Der Freistaat unterstützt die Stiftung bei der Pflege, Betreuung und dem Erhalt des Kulturguts der Sudetendeutschen. Zusätzlich hat der Freistaat im Bayerischen Hauptstaatsarchiv eine eigene Abteilung „Sudetendeutsches Archiv“ eingerichtet, in dem Schrift-, Bild- und Tondokumente der Sudetendeutschen professionell aufbereitet und betreut werden. Derzeit plant die Sudetendeutsche Stiftung gemeinsam mit dem Freistaat Bayern die Errichtung eines Sudetendeutschen Museums in München.
Patenschaft für die Landsmannschaft Ostpreußen
Der Freistaat Bayern hat 1978 außerdem die Patenschaft für die Landsmannschaft Ostpreußen übernommen. Sie basiert auf den vielfältigen jahrhundertealten historischen und kulturellen Bindungen zwischen Bayern und Ostpreußen. Ab 1981 wurde mithilfe des Freistaats Bayern im Deutschordensschloss in Ellingen zunächst eine Sammelstelle für ostpreußisches Kulturgut aufgebaut. Daraus hat sich ein Kulturzentrum Ostpreußen entwickelt, das einen wirkungsvollen Beitrag zur Bewahrung und Pflege des ostpreußischen Kulturerbes in Bayern leistet und mit Einrichtungen im östlichen Europa grenzüberschreitende Kulturarbeit pflegt.
Grenzüberschreitende Kulturarbeit
Im Rahmen einer grenzüberschreitenden Kulturarbeit, die sich an § 96 BVFG orientiert, hat der Freistaat Bayern eine Vielzahl grenzüberschreitender Hilfen zugunsten der Deutschen in den östlichen Nachbarstaaten eingeleitet. Zu den Schwerpunkten zählt das Haus Kopernikus in Allenstein in Ostpreußen. Die Durchführung der Hilfen erfolgt in enger Zusammenarbeit mit den Organisationen der Vertriebenen, den Angehörigen der deutschen Minderheit und der dortigen Mehrheitsbevölkerung sowie Stellen der jeweiligen Partnerstaaten.